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Schwere und Leichtigkeit in zwei Episoden

  • Autorenbild: barbatom7
    barbatom7
  • 13. Juli 2024
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 15. Sept. 2024




8. Februar

Poesie im Alltag, Alltagspoesie.

Die Mühsal, die Schönheit im Mühsamen und im Leichten, die Farben und die Weite, das Licht im Raum und das Lächeln über seinem Gesicht.


Er lebt und liebt. Er liebt und rollt, er kämpft und schweigt…

 

Seine Berührungen und wie er zu mir spricht, Fragen stellt, überlegt…

Sein Blinzeln, dieses nur ihm eigene Blinzeln, wenn er sich über seinen Teller beugt und die nächste Gabel Pestonudeln auflädt.

Wie alles schwierig ist für ihn, es kaum etwas gibt ohne Hindernis und Misserfolg. Seine Hände zittern, das Spiel, dessen Deckel er öffnen will, schlittert auf den Boden. In unserem Haus fallen laufend Wasserflaschen, Bücher, Handys, alles was der Schwerkraft unterliegt. 


Die Trotzkraft, Trotzfreude in seinem Gesicht. Für mich die Poesie des Lebens ausserhalb der beschleunigten Gesellschaft; die uns im Hier und Jetzt das lieben lässt, was wir haben. Mehr als genug ist`s, wir sind die Glücklichen, denke ich und gehöre doch zu denen, die vom Schicksal hart getroffen.


So glücklich zu sein schmeckt intensiv und perlt bittersüss direkt ins Herz, macht’s weit.

Weite, nach der ich mich sehnte, mich sehne immerzu. Unverhofft stand sie da inmitten der engen, schweren Lebensumstände, die zu unserem Leben mit dir gehören. Tränen, aus Himmel und Erde gemischt - und wir hoffen weiter - in diesem normalen, abnormalen Leben nahe am Abgrund.

 

9. Februar

Einen Tag später dreht sich mir das Herz in der Brust. Schmerz, soweit ich fühlen kann. Wie ausgeschlossen und isoliert Jairo da inmitten des Fasnachtsgetummels sitzt. Übermütige Piraten, Ritter, Drachen und Verbrecher, Elsas und Königinnen schwirren um ihn herum. Unbedingt wollte er dabei sein, wenigstens an die Fasnacht, wenn ihm die Teilhabe im Skilager aufgrund seiner Osteoporose schon nicht erlaubt war.

Jedes Jahr wieder mit dieser Illusion, dass da auch für ihn eine Tür zum Feiern offenstehen könnte. Die Clownmaske im Schrank gefunden und weil er Clowns liebt, entschied er sich sogleich dafür.


Nun sitzt er also da in seinem grossen Elektrorollstuhl und die Clownmaske passt nicht recht. Zunehmend stiller schaut er dem Treiben zu, schweigt und schaut und man spürt, wie es auch in seinem Herzen schmerzt, irgendwie.


Der Clown, auf den er sich freute, bläst lediglich Ballone auf und formt Tiere für die Kleinen, es gibt nichts zu lachen. Nicht für ihn, den 14-Jährigen im Elektrorollstuhl inmitten der fröhlichen Fasnachtskinderschar.


Ich ringe um einen Zaubermoment, um einen offenen Himmel heute Nachmittag, der ihn rausholt aus dieser verdammten Isolation, dieser lähmenden Schwere, die auf die gelähmten Glieder auch noch Herz und Sinne paralisiert.

Ich schreie um Gerechtigkeit, nur ein kleines Stück - für ihn  - heute im Fasnachtsumzug.


«Immer wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her…»


Diese Worte meiner Grossmutter im Poesiealbum, sie treffen immer wieder. Leise und leicht zu übersehen oft, das kleine Licht.

So auch heute; vielleicht ist es nur die Freude, die er auf der Heimfahrt an der jungen Katze hat, die tollpatschig verspielt mal einen Grashalm fängt um gleich darauf wieder wie von imaginärem Hund gejagt auf den Baum hoch zu klettern.

Trotzfreude, Trotzkraft auf seinem Gesicht, in seinem Blick. Sie geben auch mir wieder die nötige Kraft; die reicht für diesen Tag.

 
 
 

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