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2024 - Vom Suchen und Finden

  • Autorenbild: barbatom7
    barbatom7
  • 29. Dez. 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 31. Dez. 2024


 ... und vom Finden ohne zu suchen



«Celui qui trouve sans chercher est celui qui a longtemps cherché sans trouver…»

Gaston Bachelard

 

2024 - Im anspruchsvollen Familienalltag die Perlen suchen und finden und feststellen: Was ich früher suchte und nicht fand, finde ich heute (öfters) ohne zu suchen (s. Bachelard):

Da sind zum Beispiel die Oasen inmitten der Pendenzenberge: zum Lesen, Schreiben und – was viele Jahre ein unerfüllter Wunsch blieb – zum Wandern durch Bergparadiese mit symphatischen «Wandergspännlis«. Der einzige Wehmutstropfen bei letzterem ist die Frequenz: nur alle zwei Monate einen Tag; mehr davon findet sich (noch) nicht.

Oder ich finde in den wiederkehrenden Pflegehandlungen, die unsere Tage belagern, verschiedene Aktivitäten unterbrechen und unseren Freiräumen enge Grenzen stecken überraschende Innigkeit:


Innigkeit, wie in jener einen kurzen Begegnung grad, so intensiv, dass ich zu sagen wage: Allein wegen diesem Blick in seine grünen Augen und dem Moment des Gewahrwerdens, dass wir in den Armen des nackten Lebens geborgen sind, mit allem Schauerlichen und Schönen; allein für diesen kurzen Augenblick, in der Zeit stillsteht und Ewigkeit uns trifft - dafür hätte sich ein ganzes Leben gelohnt!


Innigkeit erfüllt sich im Verborgenen und ist für fremde Augen (meist) unsichtbar. Innig bedeutet: im Innersten empfunden, tief gefühlt, unauflöslich verbunden sein. Das erlebe ich oft und macht die gleichzeitig erlebte Last leicht - leicht und sanft.

 

2024 - Ein Jahr der kaputten Schulter (von mir) und havariertem Rücken (von Ben) und dem Bewusstsein, dass wir älter werden und Jairos Gewicht schwerer. Die Zeitgefässe für Übungen, Massagen und Physiotherapie finden wir oft nicht (obwohl wir sie suchen) – und sind doch auch immer wieder kräftig, gesund und beschwerdefrei auf den Beinen. :-)

 

2024 - Wie all die Jahre zuvor eine Zeit der ungewissen Prognosen, die als dunkle Wolkendecke über manchen Tagen hängen; einer schwarzen Wand gleich unsere Schritte bremsen und die Gedanken dämpfen. Da werden zum Beispiel banale, alltägliche Aktivitäten zum Risiko für einen Knochenbruch, von deren es im Juni grad zwei gab mit komplizierten Operationen und einem zermürbenden Anhängsel an zusätzlicher Pflege etc.

Der Schmerz damals beim Warten in der Stadtgärtnerein während des zweiten Eingriffs finde ich in folgenden Tagebuchzeilen wieder:


«Nach wochenlang kühler Regenzeit flaniert, radelt und lacht alles draussen an der Sonne im satt-grünen Bern. Sommergeflatter in neu erwachter Lebenslust. Nur du, Jairo liegst bereits wieder auf sterilen Tüchern im künstlich beleuchteten Operationssaal, fremden Händen ausgeliefert. Seit Stunden werkeln sie schon an dir herum. Wie oft noch…?»


Nach dieser unseligen Geschichte zeigen sich Ende Sommer Anzeichen einer verstärkten Kleinhirn-Drucksituation, welche zusätzlich durch die medizinische Diagnostik (per MRI) bestätigt wird.

Die Ärzte melden sich auch Wochen danach nicht mit der Empfehlung für eine (risikoreiche) Operation, welche sie in Erwägung gezogen haben. Wir melden uns auch nicht mehr - und kehren nach einiger Zeit gedanklich zum «courant normale» zurück. Die beobachtete Symptomatik und Jairos feinmotorische Möglichkeiten schätzen wir wieder als plus minus «geng wie geng» ein und ordnen Auffälligkeiten seinem nativen Geburtsgebrechen sowie den üblichen Schwankungen zu.

Damit haben wir uns seit November 2009 eingefunden.

 

Ich lasse mich weniger schrecken von potentiellen Hiobsbotschaften und schreie doch ein lautstarkes «Nein» gegen jegliche Verschlechterung oder zusätzliche Bürde. Die Energie und der Wille reichen für kein Gramm mehr davon, finde ich!

Dennoch: Im Blick aufs Heute gibt es (meist) ausreichend Kraft. Da steht in alten, biblischen Weisheiten:

«Unser tägliches Brot gib uns heute» und «Jeder Tag hat genug an seiner eigenen Mühsal». Nehme ich die Herausforderungen Tag für Tag und unterlasse das Starren auf Sorgen von Morgen werde ich versorgt.


Etty Hillesum, eine holländische Jüdin hat mich mit ihren Gedanken, welche sie unter der immer enger werdenden Schlinge der Naziherrschaft von 1941 – 1943 in ihren Tagebüchern festhielt im vergangenen Jahr stark geprägt. Sie entwickelte gerade auch unter der wachsenden Bedrängnis eine äusserst beeindruckende Freiheit und Zuversicht:


«Das Leben ist witzig, so überraschend und unendlich vielfältig - und nach jeder Strassenkurve plötzlich wieder eine ganz andere Aussicht...»*


Zu diesen Worten schreibt sie weiter, dass wir oft Klischeevorstellungen über das Leben im Kopf hätten, von denen es sich zu befreien gelte…

 

Diese zuversichtlich - offene Haltung wünsche ich mir fürs 2025. Damit werden wir viel von dem finden, was wir suchen und Unverhofftes erleben, das wir nicht gesucht haben:

Überraschende Aussichten, witzige Wendungen und Geborgenheit inmitten von Schauerlichem und Schönem!


Etty Hillesum, «Ich will die Chronistin dieser Zeit werden. Sämtliche Tagebücher und Briefe, 1941 – 1943».

Herausgegeben von Klaas A.D. Smelik. Deutsche Ausgabe herausgegeben von Pierre Bühler, C.H.Beck-Verlag, München, 2023

 

*Zitat Etty Hillesum (s. S. 609) weiter fortgeführt:  «Das Leben ist witzig, so überraschend und unendlich vielfältig - und nach jeder Strassenkurve plötzlich wieder eine ganz andere Aussicht. Die meisten Menschen haben Klischeevorstellungen über das Leben im Kopf, aber man muss sich innerlich von allem befreien, von jeder verfestigten Vorstellung, jeder Parole, jeder Gebundenheit, man muss den Mut haben, loszulassen, jede Norm und jeden Halt an Konventionen, man muss den grossen Sprung in den Kosmos wagen und dann – erst dann ist das Leben so unendlich reich und überfliessend, selbst im tiefsten Leid. «

 

 

 
 
 

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