Patientenperspektive …
- barbatom7
- 8. Aug. 2024
- 3 Min. Lesezeit

Kurz vor Silvester 2020 wächst Jairos Bauch bedrohlich. Wir sind erleichtert, dass eine für ihn zuständige Ärztin über die Feiertage da ist und heute um 14.00 Uhr ein Ultraschall stattfinden kann. Intuitiv ahnen wir, dass der Riesenbauch nichts Harmloses bedeutet, verdrängen die unguten Gedanken jedoch mit Witzeln: Was da wohl drinstecken könnte, ein Elefanten- oder Dinosaurierbaby?
Die Atmung pfeift und die Beweglichkeit Jairos wird immer eingeschränkter – vergleichbar mit einer Schwangeren im 9. Monat. Der Allgemeinzustand ist jedoch erstaunlich gut.
Mit den Ultraschallresultaten (viel Wasser im Bauch) und der gemurmelten Erklärung der Ärztin, der im Bauchraum abgeleitete Liquor könne wegen den vielen Verwachsungen nicht mehr absorbiert werden, ertönen die Alarmglocken dann in schrillem Ton.
Es folgt ein Untersuchungsmarathon und das Verdrängungswitzeln weicht zunehmender Nervosität. Nach mehr als neun Wochen Spitalaufenthalt im 2020 nochmals eine Operation zum Jahresschluss kann und darf nicht wahr sein!
Langwieriges MRI, Infusion stecken, Ultraschall hier, Röntgen dort…
Ich fahre zwischendurch heim zum 13-jährigen Leon, versuche im Schuss zu packen und nebenbei locker zu bleiben, ihm etwas Zuwendung zu schenken, um ihn nicht zusätzlich zu belasten. Er muss diese Nacht zum ersten Mal alleine daheim sein, weil mein Mann Nachtdienst hat. Das macht ihm zu schaffen und beschäftigt mich ebenfalls. Es wird mir bewusst, dass Leon immer wieder das Los des Schattenkindes zukommt und so mache ich mir zusätzliche Sorgen um ihn.
Schnell zurück ins Spital, Jairo vor dem MRI noch katheterisieren, ihn während dieser Untersuchung und allen weitern begleiten und ihm gut zureden, Transfer dahin und dorthin. Immer noch reduziert von irgendeinem Infekt die Tage zuvor, klappe ich um 23.00 Uhr erschöpft ins Spitalfeldbett und schlafe sogleich ein.
20 Minuten später ist es vorbei damit. Unser Zimmer wird zum Pflegerevier erklärt und Jairo zum Projekt einer überaus engagierten Fachfrau. Mein Sohn, an dessen gutem Allgemeinzustand sich nichts geändert hat, wird mir nichts, dir nichts zum akuten Pflegenotfall erklärt.
Als ich am Abend zuvor die grossen Urinmengen bekannt geben wollte, interessierte sie noch niemanden. Nun ist die Urin-Bilanz plötzlich essentiell wichtig; mitten in der Nacht, sollte unbedingt mehr Urin fliessen und es folgen Fragen über Fragen, wieviel Jairo denn normalerweise ausscheiden würde, wie genau seine Trinkmenge sei … etc.
Unser Hauptbedürfnis interessiert null: Wir bräuchten grad einfach nur Schlaf!!
Wegen ausstehenden Covid-19-und RSV-Tests braucht es Papierschürzen für die Pflegenden, das An- und Ausziehen verursacht jedes Mal einen lautstarken Raschelterror. Bald folgen die ersten Alarme des Sauerstoffmonitors.
Wegen der vom Wasserbauch zusammengedrückten Lunge wollen die Ärzte in der Nacht ein Dauermonitoring. Nach der Mitternachts-Überwachungsprozedur kurz wieder eingedöst, wecken uns weitere Alarme und wir schlafen nicht mehr, sondern verharren im Wartemodus. Wann kommt das nächste Piepsen?
Meine Energie und die Stimmung sinken tief unter Null und mischen sich zugleich mit einer zünftigen Portion Ärger. Wem soll das «Gepiepse» und unser damit verbundene Schlafentzug dienen?
Ich informiere die engagierte Pflegeexpertin, dass Jairo wegen seiner Grunderkrankung stets eine tiefere O2 -Sättigungsgrenze hätte im Schlaf; umso mehr, wenn Zusatzfaktoren dazu kämen. Sie solle bitte die untere Grenze anpassen. Das geht aber natürlich nur, wenn sie sich zuvor mit der Nachtärztin abgesprochen hat. Wir haben genug Spitalerfahrung, um zu wissen, dass dies lange dauern kann.
Ich formuliere meine Anliegen zunehmend genervt, was hinsichtlich ihres an und für sich professionellen Umgangs mit kritischen Werten und Parametern als unfair rüberkommen mag. Es ist auch nicht meine Art, Erschöpfung und Frustration am Pflegepersonal auszulassen, dem wir in all den vergangenen Jahren viel an empathischer und kompetenter Pflege zu verdanken hatten.
Nur weiss ich genau, dass es Jairo nicht schlechter geht als die Nächte und Tage zuvor und wir – wollen wir nach all den Spitalstrapazen der letzten Monate eine erneute Diagnose bzw. grössere Operation überstehen - dringend Schlaf brauchen.
So gesehen fühle ich mich aktuell nicht nur den wilden Symptomen in Jairos Körper ausgesetzt, sondern auch der Willkür der Pflegeexpertin, die Jairo zu ihrem Projekt deklariert hat und das, was wir wirklich brauchen würden in den Wind schlägt.
Abschliessend sei gesagt, dass ich nebst all dem sonst überwiegend positiv Erlebten während unserer Spitalaufenthalte auch die Motive dieser überengagierten Fachperson nachvollziehen kann. Nur geht es in sozialen und medizinischen Berufen immer um den Menschen und seine Bedürfnisse.
Wenn jene eine klare und laute Sprache sprechen, täte es Not, diese Botschaft über Messwerte und Parameter zu stellen.
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